Anwälte & Team

Thomas Schöngeist

schoengeist... aus "Schöngeist", Seite 9:

Betreff: Déjà-vu
Thomas, unbekannter Mann,
ich habe selten jemanden getroffen, der mich mit seinem offenen und sympathischen Lächeln so in seinen unmittelbaren Bann zog.
Die kurze Fahrt war leider viel zu schnell vorüber. Ich hätte mich noch intensiver mit Ihnen unterhalten, wollte aber Ihre Gedankengänge nicht stören. Ihre Visitenkarte gibt mir allerdings Rätsel auf, die mich den halben Abend beschäftigten!
Ich würde mich sehr, sehr gerne mit Ihnen (darüber) unterhalten. Schade, dass Sie nur sporadisch nach Frankfurt kommen.
Ich freue mich über Ihren Anruf (Tel. 06996/12344321).
Seien Sie herzlich aus Eschborn gegrüßt – Monika Gross

 

schoengeist... aus "Schöngeist", Seite 39:

Wieder zurück im Arbeitszimmer, nimmt er den Bericht und liest:

Thomas Schöngeist, geboren 1967 in Blaukirchen … Einzelkind …Vater Werkzeugmacher in der Brosinski AG … Mutter Altenpflegerin ... Gymnasium … dort in einer Klasse mit Peter Schneider, der mit Helma Brosinski verheiratet ist … gleiches Gymnasium (einziges in Blaukirchen) wie Michael Brosinski …aktiver Leichtathlet … Jugend-Landesmeister im Mittel-streckenlaufen … Abitur mit Schnitt 1,9 … Zivildienst beim Rot- en Kreuz … Studium in Würzburg, Jura und Psychologie … lebt seither in Würzburg … wissenschaftlicher Assistent am Institut für forensische Psychologie … Hochzeit mit Leonie Sperber, Ärztin, nach vier Jahren plötzlich verstorben … sechs Monate Weltreise … Eintritt als Partner in die Kanzlei Jean Meyer in Würzburg … attraktive sportliche Erscheinung … verschiedene Frauen-bekanntschaften … neun Monate Beziehung mit Eva Jakobs, wohnhaft in Nürnberg … lebt alleine in einer Würzburger Stadtwohnung am Main, die ihm gehört … über 100.000 Euro Sparguthaben … solider Lebenswandel … politisch grün … läuft regelmäßig, meistens mit Manfred (Manni) Kempf, Steuerberater in Würzburg, mit dem er eng befreundet ist … trinkt gern Rotwein.
Die Kanzlei beschäftigt acht Mitarbeiter, läuft gut … Jean Meyer hat einige Firmenakquisitionen und -zusammenschlüsse begleitet, u.a. Kormann & Rüders in Hamburg … Thomas Schöngeist ist spezialisiert auf Details in Wirtschaftsfragen …

Der Mann lehnt sich in seinem Sessel zurück und schüttelt leicht den Kopf: Das gibt’s doch nicht! Das einzig Auffällige an Thomas Schöngeist ist sein Auto, ein Oldtimer, Mercedes 180 D, aus dem Jahr 1961, in Rot. Der Mann erinnert sich gut an diese Zeit und an das Auto. Damals ging alles aufwärts, während heute ... Er schüttelt den Kopf: Irgendein dunkles Geheimnis gibt es doch immer. Aber dann bleibt es eben ein Geheimnis. Er schaut noch mal auf die Fotos. Wer ist denn diese Frau?

 

Dr. Jean Meyer

schoengeist... aus "Schöngeist", Seite 90:

Leonie gibt es nicht mehr.

„Vielleicht könnten Sie mit mir in die ‘Missionsärztliche Klinik’ kommen und sie identifizieren? Es tut mir leid ...“
Wie ferngesteuert ist er mitgefahren, hat sich mit diesem Mann durch die kahlen Gänge im Kellergeschoss der Klinik geschleppt bis zu diesem nackten Raum, mit bläulichem Licht grell ausgeleuchtet, wo sie in der Mitte auf einem kalten Edelstahltisch aufgebahrt lag. Konnte nicht wahrhaben, dass ihr wacher Geist den schönen Körper verlassen hatte, der so unversehrt schien.
„Wir haben sie oben beim ‘Käppele’ gefunden. Zunächst dachten wir an ein Verbrechen, aber Dr. Meinl meint, dass es plötzliches Herzversagen war. Beim Joggen. Ist bei Frauen relativ selten. Ein so genannter ‘sudden cardiac death’: das Herz hört völlig unerwartet und häufig ohne Warnzeichen auf zu schlagen. Das führt in über neunzig Prozent der Fälle zum Tod. In Deutschland sterben jährlich mehr als hunderttausend Menschen am plötzlichen Herztod ...“
Er weiß nicht, was danach geschehen ist. Seine Erinnerung fängt erst wieder an, als Ingrid, Jeans Frau, in das Zimmer kommt und ihn besorgt anlächelt:
„Möchtest du mit uns frühstücken?“
Das ist jetzt fast drei Jahre her. Anfangs glaubte er, ohne Leonie nicht leben zu können oder auch zu wollen. Inzwischen kommt er wieder gut zurecht damit und mit sich. Nach einigen Monaten der Düsternis fand er langsam wieder den Weg zurück ins Leben. Jean und Ingrid hatten ihm am Anfang geholfen, einfach indem sie ihr Haus auch zu seiner Heimat machten und Jean ihm die Partnerschaft in seiner Kanzlei anbot.

 

Karin

breslauer schatten... aus "Breslauer Schatten", Seite 210:

Thomas drehte sich etwas erschrocken nach hinten zum Nachbartisch und sah eine ältere Dame mit weißen Haaren, die ihn durch ihre übergroße Sonnenbrille unverwandt anschaute und mit ihrer dünnen, aber bestimmten Stimme nachlegte: „Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff!“
Die Verblüffung machte Thomas kurzzeitig sprachlos. Das schien die alte Dame noch mehr zum Weiterreden zu animieren: „Einer der größten schlesischen Romantiker!“
„Donnerwetter! Das nenne ich Allgemeinbildung, ich hätte das nicht gewusst!“
Die alte Dame musterte ihn belustigt von oben bis unten und dann wieder von unten nach oben. „Junger Mann, wir mussten in der Schule noch Gedichte auswendig lernen!“ Daraufhin hob sie ihren Zeigefinger wie eine Lehrerin, wahrscheinlich war sie eine, dachte Thomas. „Und Sie haben einen Fehler gemacht! Es heißt nicht ‚aus ist deine Zeit’, sondern viel weniger dramatisch ‚aus ist dein Urlaub’!“
Langsam löste sich Thomas’ verblüffte Sprachhemmung: „Allen Respekt, gnädige Frau! Das ist ja trotz allem nicht selbstverständlich!“
„Wie meinen Sie das, junger Mann?“, fragte sie, Erstaunen mimend. „Spielen Sie vielleicht auf mein Alter an? Ich würde sagen, doppelt so alt wie Sie? Habe ich nicht recht?“
Thomas spürte, dass er gegen die Dame nicht ankommen würde, aber immerhin konnte er langsam wieder klare Gedanken fassen. „Sie sagten, schlesischer Dichter …“
„Nein, ich sagte schlesischer Romantiker!“
Er würde sich noch die Zähne an ihr ausbeißen.
„Also gut, schlesischer Romantiker, sagten Sie. Breslau ist doch auch in Schlesien.“ Ihm war nicht ganz klar, warum sich diese Assoziation in seinen Kopf schlich und noch weniger, warum er sie, ohne groß nachzudenken, gleich herausplapperte.
„Richtig, junger Mann. Breslau war die Metropole, die Perle Schlesiens, und Eichendorff ging dort aufs Gymnasium. Ins Matthiasgymnasium. Ich ging in die Viktoria-Schule in der Blücherstraße. Eine Oberschule für Mädchen.“
Thomas wunderte sich schon nicht mehr, wie viele Menschen aus Breslau er seit einigen Monaten kennen lernte und wollte die Dame fragen, ob sie denn einen Elektroladen Brosinski kannte.
Doch in diesem Moment kam Karin mit ihrem Fahrrad angefahren. Ihre blonden langen Haare wehten luftig im Fahrtwind. Über dem T-Shirt, das in ihrer gebückten Radlerhaltung tiefe Einblicke gewährte, hatte sie einen blauen Pullover gebunden, der gut zu ihrer hellen Hose passte. Thomas hatte das Gefühl von Sommer pur, vor allem, als sie ihn, das Gesicht von der untergehenden Sonne leicht vergoldet, anstrahlte: „So, da bin ich!“
Die Dame drehte sich zu der Stimme und fragte unverblümt: „Und wer sind Sie?“
Karin stutzte einen Moment und antwortete kess: „Karin Müller, Geliebte von Thomas Schöngeist! Und wer sind Sie?“

 

Von Hanstein