Breslau

 

breslau militaerbreslauer schatten... aus "Breslauer Schatten", Seite 84:

Es war ein klarer warmer Morgen und wie die letzten Tage auch versprach es, heiß zu werden. Die Luft roch nach Sommer und der Oder, die träge und wegen der Trockenheit in ihrem Flussbett immer bescheidener wurde. Wie an den vergangenen drei Tagen wartete er vergebens auf Bogumil und so ging er wieder alleine in die Schule.

Langsam gewöhnte er sich daran, aber am ersten Tag war das ganz ungewohnt und er ein wenig ängstlich gewesen. Bogumil war nämlich etwas älter und viel größer und kräftiger als Reinhold. In der Schule verkündete ihnen der alte Lehrer Kümbel, dass wir Polen den Krieg erklärt hätten und er endlich das Polenpack nicht mehr unterrichten müsse. Der Platz neben Reinhold blieb weiterhin leer und er vermisste Bogumil.

Dass der zum Polenpack gehören sollte, verstand er erst im Laufe der nächsten Tage. Für ihn war er sein Freund.

 

international breslaubreslauer schatten... aus "Breslauer Schatten", Seite 144:

Die ehemalige Lehrerin, die hartnäckig ein paar mickrige Pflanzen im Treppenhaus wässerte, war eine gute Freundin ihrer verstorbenen Tante Olga, die noch in ihrem Schlafzimmer herumspukte. Sie – besorgten Blickes und noch im Alter mit dickem blondem Haar – sie wirkte immer noch wie das gesunde kräftige Mädchen aus einem kleinen Fischerdorf am Kurischen Haff.

Sie hatte aus ihrer Heimat an der Ostsee flüchten und im kriegszerstörten Breslau, das gerade im Begriff war, Wrocław zu werden, ein neues Leben beginnen müssen.

Ihr Mann Tomasz, aus dem Lager Groß-Rosen entkommen, war hier gelandet wie die Tante. Als Schlesien polnisch wurde, versteckte Olga ihren litauischen Akzent und vergaß das Deutsch, welches sie unter der deutschen Verwaltung gelernt hatte. 

Zofía hörte des Nachts manchmal Tante Olga zusammen mit dem Kofferradio auf Litauisch wispern.

international breslauNach ihrem Tod fanden sie in dem großen schweren Holzkoffer, der geheimnisvoll in ihrem Zimmer stand, Souvenirs aus längst vergangener Zeit und einer längst vergangenen Heimat.

Diese Herkunft versteckte man anscheinend in der jungen sozialistischen Republik, die nach Jahrhunderten von Teilung und Opfer wieder ihre polnische Identität feierte, besser ganz unten in dem Koffer. Ein Koffer, der wohl bereit stand für den nächsten Umzug oder eine Rückkehr in die alte Heimat, eine Zukunft, die nun schon Vergangenheit wurde, ohne je Gegenwart geworden zu sein.

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